Atomausstieg
Kurzer Überblick über die Nutzung der Kraft des Atoms
Die nichtmilitärische Nutzung der Kernkraft in Kraftwerken nahm Mitte der 50er Jahre ihren Beginn. Zunächst wurde die friedliche Inanspruchnahme der Kernenergie gesellschaftlich gebilligt und die Kernkraftwerke wurden als stabile, ökonomisch tragende und umweltfreundliche Alternativen zur Energiegewinnung angepriesen. Ab den 70er Jahren gewannen Anti-Atomkraft-Bewegungen, die nicht nur die friedliche, sondern auch die zivile Nutzung der Kernenergie in Zweifel zogen, vermehrt an Relevanz. Hauptkritikpunkte sind hierbei die Risiken und etwaigen Resultate eines nuklearen Störfalls, Gefahren für Menschen und Umwelt in der Umgebung von Kraftwerken (wie Radioaktivität die und die ionisierende Strahlung) und das Problem der radioaktiven Abfälle, die im Prinzip Jahrtausende lang sicher endgelagert werden müssen. Die Havarie von Three Mile Island und die Katastrophe von Tschernobyl wurden von vielen Staaten zum Anlass genommen, keine weiteren Kernkraftwerke neu zu errichten.
Atomausstieg und der damit verbundene Nutzen
Als Atomausstieg bezeichnet man den mittel- bis langfristigen Verzicht der zivilen Nutzung von Atomspaltung für die Energiegewinnung im Kernkraftwerk. Der Begriff "Atomausstieg" wurde als politisches Schlüsselwort in der Anti-Atomkraft-Bewegung geprägt. Die Durchführung des Ausstiegs besteht in letzter Konsequenz darin, keine neuen Atomkraftwerke zu bauen und die bestehenden Systeme vor dem Ablauf ihrer Nutzungsdauer zu schließen.
Wenn sich Länder zum Abschalten ihrer Kernkraftwerke entschließen, sind sie natürlich gezwungen, Alternativen bezüglich der Energiegewinnung zu suchen und zu forcieren, wenn nicht gewünscht ist, dass ihre Abhängigkeit von Importen fossiler Energie (also Erdöl und Erdgas) ansteigt. Deswegen ist die Debatte über die Zukunft der Kernenergie mit der Auseinandersetzung über erneuerbare Energien eng verknüpft. Die in der Regel in Betracht gezogenen Alternativen zur Kernenergie sind Windenergieanlagen, Wasserkraftwerke, Sonnenenergie und Energie aus Biomasse.
Oft wird der langsame Übergang für einen Atomausstieg gewählt, um bis zum Ausstiegstermin andere und neue Kraftwerkstypen zu bauen. Speziell Umweltverbände stimmen hierbei für erneuerbare Energien. Da deren Verfügbarkeit jedoch begrenzt ist und keine geeigneten Speichermechanismen zur Verfügung stehen, lässt sich der Bedarf kurzfristig nur über konventionelle Kraftwerke decken. In den vergangenen Jahren wurde in einigen Staaten der bereits beschlossene Ausstieg verzögert oder ganz abgelehnt, da immer expliziter offenbar wird, dass die Verwendung der fossilen Energieträger ausschließlich negative Folgen zeitigt. Auch die begrenzte Verfügbarkeit, damit zusammen hängende hohe Brennstoffpreise, die Abhängigkeit von instabilen Ländern im Nahen Osten und im Besonderen die Gefahr von globalen Klimaänderungen sind die Hauptgegenstände der Diskussionen.
Argumente für den Atomausstieg
Die Gegner der Kernenergie machen auf die Risiken aufmerksam, die für die Umwelt entstehen. Eines der Hauptargumente ist dabei, dass bei der Energiegewinnung durch Nuklearenergie die Sicherheit für die Umwelt und die Menschen nicht garantiert ist, wie leider bereits mehrere nukleare Unfälle der Vergangenheit eindrücklich gezeigt haben. Große Mengen radioaktiver Strahlung wurden dabei jeweils hinterlassen. Beim Super-GAU - "Größter Anzunehmender Unfall" - von Tschernobyl, der sich 1986 in der heutigen Ukraine (frühere Sowjetunion) ereignete und der der bisher zweitgrößte Nuklearunfall der Geschichte ist (nach dem in der kerntechnischen Anlage im damals sowjetischen Majak im Jahr 1957), wurden gigantische Landmengen für die nächsten Jahrhunderte unbenutzbar. Der Unfall forderte viele Menschenleben; teilweise werden Zahlen von weit über 10.000 Toten inklusive derer, bei denen die stark erhöhte Radioaktivität zum Tode führenden Krebs auslöste, genannt. Die Ärztevereinigung IPPNW stellte eine Anzahl von 50.000 bis 100.000 Toten und 540.000 bis 900.000 Invaliden bis zum Jahr 2006 fest. Dagegen gibt die Weltgesundheitsorganisation WHO in einer für das Tschernobyl-Forum erarbeiteten Erhebung die Zahl der bisher zu belegenden durch das Unglück strahlenbedingt Verstorbenen mit nur 56 an. Die enormen Unterschiede in den Opferzahlen gehen auf die jeweils angewandten unterschiedliche Kriterien zurück, ab wann atomare Verstrahlung als Sterbeursache festgestellt wird und welche Zeiträume untersucht wurden. Ausstiegsbefürworter verweisen auf die Gefahr, dass weitere ähnliche oder schlimmere Unfälle wie der in Tschernobyl passieren können.
Unabhängig davon kritisieren Gegner der Atomnutzung die ökologischen Aspekte der Strahlung, ebenso den Brennstoffkreislauf, der durch den Kernbrennstoff hervorgerufen wird und die Beseitigung des radioaktiven Abfalls in Form von so genannter Endlagerung. Sie warnen vor radioaktiver Strahlung und fordern eine Befolgung des Vorsorgeprinzips, nach dem Technologien solange abgelehnt werden, bis bewiesen werden kann, dass sie weder für die Gesundheit von Lebewesen noch für die Biosphäre größere Risiken mit sich bringen. Weiter argumentieren sie, dass die Kernkraft zwar während des Prozesses der Kernschmelze, die zur Energiegewinnung führt, frei von Kohlendioxid ist, allerdings fallen bei der Analyse der gesamten Produktionskette Freisetzungen von CO2 an.
Plutonium, das in den Brennstäben in Kernkraftwerken enthalten ist, wird in der französischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague und im britischen Sellafield gewonnen. Bei diesem Vorgang wurden in der Vergangenheit große Mengen von radioaktivem Abfall auch ins Meer abgeladen, was heute undenkbar erscheint.
Weitere Kritikpunkte zielen auf die Uranvorkommen und deren Förderung, denn die weltweiten Vorkommen des actionoiden Elements sind begrenzt. Auch ist der Abbau des Urans in der Vergangenheit und heute teilweise mit fatalen Auswirkungen für die Umwelt und die lebenden Menschen verbunden. Beispielsweise sind in Australien Aborigines, die in der Nähe von Uran-Abbaustätten leben, unverhältnismäßig oft an Krebs erkrankt. Auch der Uranabbau in Deutschland (in der ehemaligen DDR; mit der Wiedervereinigung im Jahr 1990 eingestellt) führte etwa zu Berichten und Gerichtsverfahren von ehemaligen Minenarbeitern, die während oder nach ihrer Beschäftigung in den verseuchten Stollen erkrankt waren. Dazu passt eine Studie des Bundesamtes für Strahlenschutz aus dem Jahr 2007, die ein signifikant höheres Risiko von Kindern belegt, an Leukämie zu erkranken, wenn sie weniger als fünf Kilometer von einem Kernkraftwerk entfernt aufwachsen.
Die langfristige Aufbewahrung radioaktiver Abfälle ist ein mit der Kernenergie zusammenhängendes Problem, für das bis dato noch keine Lösung gefunden werden konnte. Gerade für den hochradioaktiven Teil des Abfalls gibt es noch keine technischen Vorkehrungen, die gewährleisten würden, dass der Atommüll über viele Jahrtausende keinen Kontakt mit Mensch und Umwelt hat. Mehrere Länder haben in Erwägung gezogen, unterirdische Endlager zu verwenden. In Deutschland werden abgebrannte Brennelemente seit der Kündigung der Verträge mit französischen und englischen Wiederaufarbeitungsanlagen vorläufig in Zwischenlagern an den Kraftwerksstandorten gelagert. Die bei der Wiederaufbereitung angefallen hochradioaktiven Stoffe werden nach und nach ins überirdische Zwischenlager Gorleben transportiert. Die Eignung des dort gelegenen Salzstocks als Endlager ist Gegenstand von geologischen Untersuchungen.
In einigen Ländern wurde nicht festgelegt, wer die Überwachung derjenigen Gebiete bezahlt, in denen der Atommüll gelagert wird. In Deutschland sind die Betreiber von Kernkraftwerken verpflichtet, für die Kosten aufzukommen, die durch den Abfall in Form von Brennstäben sowie kontaminierten und aktivierten Materialien entstehen. Hierunter fallen alle Kosten für die Behandlung, Zwischenlagerung und Endlagerung der Abfälle. Die Betreiber von Kernkraftwerken müssen hierfür laufend Rückstellungen bilden. In den USA zahlen die Betreiber eine festgesetzte Gebühr pro Kilowattstunde in einen Entsorgungsfonds, der vom amerikanischen Energieministerium verwaltet wird.
Jedes Jahr entstehen in den deutschen Atomkraftwerken weitere 400 Tonnen abgebrannte und hoch radioaktive Brennelemente, die gelagert werden müssen. Da die Atomkraftwerke trotz der ungelösten Entsorgungsfrage weiterlaufen, kommen jährlich also 400 Tonnen radioaktiven Atommülls zum bereits existierenden Atommüllberg hinzu. Entsprechend mussten neue Zwischenlagermöglichkeiten geschaffen werden. Insgesamt gibt es in Deutschland 16 Zwischenlager. Davon sind zwölf in den vergangenen Jahren an Kernkraftwerksstandorten neu eingerichtet worden. Im Jahr 2030 wird die Bundesrepublik somit mit zirka 24.000 Kubikmetern radioaktivem Atommüll irgendwie umgehen müssen. Das entspricht etwa 17.000 Tonnen Schwermetall aus abgebrannten Brennelementen und Wiederaufarbeitungsabfällen.
Ein weiteres Problem der Nutzung von Kernenergie ist ihre militärische Verwendung. Während der Herstellung nuklearer Brennstäbe muss der Bruchteil des spaltbaren Uran-Isotops 235 (außer in CANDU-Reaktoren; das sind Schwerwasserreaktoren, die in Kanada entwickelt worden sind) vom natürlichen Anteil von 0,7 auf etwa vier Prozent erhöht werden, damit es in der Lage ist, eine Kettenreaktion hervorzurufen. Kernkraftgegner befürchten, dass Anlagen zur Anreicherung von Uran jederzeit so umgebaut werden könnten, dass man dort waffenfähiges Uran mit etwa 80 Prozent Uran-235-Gehalt produzieren könnte. Genau das ist Gegenstand der Debatten um den Iran, der behauptet, Kernenergie lediglich zivil nutzen zu wollen; letzten Endes kann aus beschriebenen Gründen nicht zu 100 Prozent davon ausgegangen werden, dass dem so ist. Die in Wiederaufarbeitungsanlagen eingesetzten Techniken eignen sich im Prinzip auch zur Gewinnung von Plutonium aus abgebrannten Brennstäben. Auch wenn es grundsätzlich möglich und vorstellbar ist, ein Kernkraftwerk ohne jegliche Absichten der Waffenherstellung zu betreiben, bringt ein Kernreaktor also immer die Möglichkeit mit sich, dass der Zugang zu den entsprechenden Materialien und Anlagen für spezielle militärische Niedrigverbrennungsreaktoren verwendet werden können und dass Plutonium wiederaufbereitet werden kann, das wiederum als Bestandteil für den Bau effektiver Kernwaffen benötigt wird. Auch Nordkorea, Indien und Südafrika begannen zivile Atomprogramme mit speziellen Forschungsreaktoren. Ob diese später benutzt wurden, um solches Plutonium herzustellen, das waffentauglich ist, oder ob hierfür eigene militärische Anlagen gebaut wurden, ist umstritten. Auch Israel besitzt in jüngster Zeit keine Kernkraftwerke zur kommerziellen Energiegewinnung mehr. Südafrika nahm sein bisher einziges kommerzielles Kernkraftwerk in Betrieb, lange nachdem es Kernwaffen erworben hatte. Indien betreibt eines der weltgrößten zivilen Bauprogramme für Kernkraftwerke.
Gegner der Kernkraft und Sicherheitsexperten befürchten zudem den Bau "schmutziger Bomben" durch Terroristen, für die das für Kernkraftwerke angereicherte Uran oder beliebige radioaktive Abfälle ausreichen würden.